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Es gab eine Zeit, da dachte ich, dass ich rein an gewissen Fetischen interessiert bin: Schuhe, Strümpfe, eben das, was ich als Standard- Fetisch bezeichne. Rückblickend war das wohl eine Schutzbehauptung, denn schon in meiner Pubertät war da mehr als "bloss" der Fetisch - kurze Szenen von Gewalt, von Unterwerfung, von Machtausübung kommen mir in den Sinn. Das blieb aber weitestgehend unter der Bettdecke, und die dreifach verklausulierten Bemerkungen wären höchstens von jemandem verstanden worden, der wusste, wovon ich sprach.

An die "gängigen" vulgärwissenschaftlichen Theorien im Stile von "jaja, der hat eine strenge Mutter gehabt" glaube ich nicht. Schon eher war es der homöopathische Zugang zu entsprechenden Informationen in Zeitungen und Zeitschriften (die Kleinanzeigen-Spalte ...), der mir gezeigt hat, dass es noch etwas anderes gibt. Aber - es war in mir drin, und es ist in mir drin.

Das Internet war für mich in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Einerseits konnte ich sehen, dass es eine ganze Menge anderer Leute mit "dieser Neigung" gibt, andererseits konnte ich über Chats das erste Mal auch direkt mit "solchen" Leuten in Kontakt treten. Vor meinem Coming Out vor mir selbst nahm ich die eigentlichen Informationsangebote nicht richtig wahr, ich interessierte mich vor allem für Geschichten und - ich geb's ja zu - für die Bilder.

Je konkreter die SM'ler als Menschen für mich wurden, desto mehr erfasste ich auch den Wert der Informationen, der Angebote im Netz und auch ausserhalb. Und viele der Geschichten und Erzählungen kann ich erst jetzt, da ich das eine oder das andere schon real gesehen und erlebt habe, richtig einordnen, und ich kann inzwischen auch in etwa einschätzen, welche Elemente für mich bloss ein nettes Kopfkino sind, und welche mir auch real Spass machen. Insofern war vieles, was ich sah, überzeichnet, und setzte die Erwartungen an mich selbst und an andere sehr hoch.

Mir selbst gegenüber musste ich meine Neigung eingestehen, als ich einmal die Menge der Bookmarks vor Augen hatte, die im Unterordner "BDSM" lagen. Es war wie eine Erleuchtung: "Hey, das muss einen Grund haben, dass du so viel darüber zusammengetragen hast!". Dieses Wissen behielt ich zunächst für mich, ich versteckte die Bookmarks tiefer unter einem unverfänglichen Namen, damit ja niemand zufällig darauf stossen würde. Vor allem nicht meine Partnerin.

Denn ich hatte zwei Berge vor mir, die ich mich nicht zu überwinden getraute: mich vor meiner Partnerin zu outen und erstmals "echte" SM'ler zu treffen. Ein paar Zufälle sind mir zu Hilfe gekommen:

Da war eine liebe Person, die ich im Computer-/Internet-Umfeld kennenlernte. Ich wusste, dass diese Person in Sachen IRC Bescheid weiss und mir in einigen technischen Fragen weiterhelfen könnte. Durch ein bisschen Namedropping sind wir dann darauf gekommen, dass wir durchaus ähnliche Interessen über die Technologie hinaus haben ...

Dies war der Einstieg, und das eine zog von nun an das nächste nach sich. Ermunterungen von Leuten im Chat zuhauf, mich der Partnerin gegenüber zu outen, Ratschläge und Erzählungen, wer das wie gemacht hatte. Fehlschläge und Erfolgsmeldungen.

Das Outing meiner Partnerin gegenüber war schlimm. Tagelang habe ich mit mir gerungen, das Für und das Wider abgewogen, bis ich mir dann endlich einen Ruck gab: "Duuu, ich muss dir etwas Wichtiges sagen." Sämtliche wohlfeilen Formulierungen, die ich mir zurechtgelegt hatte, waren in dem Moment ziemlich weit weg und ich stammelte mehr als ich redete, bis ich endlich mit der "Wahrheit" rausgerückt war.

Natürlich war sie erst mal überrascht, wir waren zu dem Zeitpunkt bereits über fünf Jahre zusammen, lebten teilweise zusammen, und hatten das, was man gemeinhin eine Beziehung ohne Probleme nennt. Glücklicherweise haben wir das weiterhin, denn sie hat nach einer ersten Schreckphase zugehört, mir Fragen gestellt, sich informiert, und ist zum Schluss gekommen, dass sie SM als Spielart nichts abgewinnen kann.

Am meisten quälte mich die Frage, wie und ob es denn gehen kann: die Vanilla-Partnerin und meine Sehnsüchte, mein Drang, SM nicht nur in meinem Kopf zu haben, sondern "es" auch ausleben zu können. Es geht, und es geht gerade und nur weil wir uns lieben (bitte, haltet mir diesen Satz nicht vor, wenn die Beziehung in die Brüche gehen sollte *g*).

Unsere Beziehung hat sich durch mein Outing verändert, und - nicht nur in meinen Augen - zum Positiven hin. Wir reden wesentlich ungezwungener über Sexualität, über unsere Wünsche und allfällige Probleme. Meine wundervolle Partnerin lässt mir den Freiraum, SM auszuleben. Wir haben gewisse Spielregeln festgelegt, und wir "erlauben" uns gegenseitig das Naschen aus Nachbars Garten. Es geht nicht darum, dass wir dann eines Tages aufrechnen können und unsere Strichlisten vergleichen, denn wir wissen, dass wir uns immer bewusst sein müssen, dass der andere die Nummer Eins ist.

Als nächsten Schritt wollte ich die Leute, mit denen ich da tagtäglich gechattet habe, kennenlernen - und dazu bot sich natürlich eine Party mit hohem "Chatter-Anteil" an. Und nein, ich ging nicht dahin, um möglichst schnell einen Aufriss zu machen und zu spielen. Ich wollte die Leute sehen, mit ihnen reden können, beschnuppern und rein- fühlen.

Auf dieser Party wurde ich durch eine (andere) liebe Person quasi am Händchen geführt. Sie nahm mir meine leichte Unsicherheit und liess mich langsam ins doch recht kalte Wasser steigen. An dem Abend blieb ich im Nichtschwimmerbecken und schaute nur fasziniert den Turmspringern zu.

Daneben besuchte ich unregelmässig einen SM-Stammtisch - unregelmässig deshalb, weil es in meiner unmittelbaren Nähe keinen gab. Überhaupt sind die Distanzen zu einem echten Problem geworden. Hier in der Schweiz scheint der Kontakt zwischen SM'lern etwas weniger ausgeprägt zu sein (nein, ich glaube nicht, dass es weniger davon gibt ...).

Nur wenige in meinem bisherigen Bekanntenkreis und der Verwandtschaft wissen von meinen Neigungen - und dort wo ich mich geoutet habe, waren die Reaktionen durchwegs positiv. Meiner Schwester gegenüber hatte sich das Outing ergeben, als wir uns über ihre Aktivitäten in Lesbenorganisationen unterhielten, es war quasi ein Outing von Minderheit zu Minderheit. Den Eltern gegenüber habe ich mich bisher nicht geoutet, nicht weil sie es nicht verstehen würden (dass meine Schwester les- bisch ist, haben sie ziemlich neutral aufgenommen), sondern weil bisher schlicht keine Veranlassung dazu bestand.

Der zweite Partybesuch brachte das erste Spiel mit sich - Moment, ich muss zuerst meinen leicht verklärten Blick darauf ablegen.

Kennengelernt hatten wir uns über den Chat. Plaudernd, blödelnd, einigermassen freizügig, es folgten die ersten Mails, ein paar Telefonate, und plötzlich wussten beide: ja, ich will (nein, wir haben nicht geheiratet).

Wir wussten, dass wir ähnliche Vorstellungen, Ideen, Phantasien von SM haben, wir wussten aber auch, dass wir beide unsichere Anfänger sind, unsicher in Bezug auf Techniken, unsicher darin, wie die uns umgebenden Leute wohl reagieren würden. Da wir uns vor der Party noch nie real getroffen hatten, haben wir uns beiden die Möglichkeit offen gelassen, laut schreiend voneinander davonzulaufen.

Wir sind nicht. Wir haben vieles von dem gemacht, worüber wir geschrieben und gesprochen hatten, aber vieles auch (noch) nicht. Die Zeit war einfach zu kurz :) Es war ein sinnliches Erlebnis, ein Höhenflug. Nicht alles lief perfekt ab, und der Anblick der Spielräume im hellen Neonlicht war ein wenig ernüchternd. Bald nahmen wir diese Äusserlichkeiten nicht mehr wahr...

Wir waren beide von uns überrascht, von der Intensität unseres Spiels, und von der Unbekümmertheit, mit der wir uns sachte spielend durch die Party bewegten. Geholfen hat dabei, dass ein grosser Teil der Besucher uns irgendwie bekannt waren, wiederum insbesondere aus dem Chat. Meine anfänglichen Befürchtungen ("Mein Gott, was werden die von mir denken wenn ich hier öffentlich unterwerfe? Ich kann denen doch nicht mehr in die Augen blicken!") hatten sich in dem Moment in Luft aufgelöst, als ich begriff: Hier geht es nicht um die Anderen, hier geht es um uns, um unsere Lust und unser Spiel. Und ich hätte mir nie träumen könnnen, wie schön es sein kann, wie schön es war, mich auf meine Partnerin in dieser Form einzulassen, mich selbst gehen zu lassen, und dabei jemanden dabeizuhaben.

Vor meinem Outing meiner Partnerin gegenüber hatte ich grosse Angst, dass irgend jemand etwas von meinen Neigungen erfahren könnte. Ich sah investigative Journalisten bei deja.com Nachforschungen anstellen, falls ich doch jemals in die Politik gehen sollte. Ich sah vor meinem schreckgeweiteten inneren Auge einen zukünftigen Vorgesetzten mich mit meiner schröcklichen Vergangenheit konfrontieren. Nun denn, inzwischen habe ich gesehen, dass es möglich ist, mit seinem Namen dazu zu stehen, wenn es denn nötig sein sollte. (Natürlich bin ich in der glücklichen Lage, dass selbst ein Outing auf der Titelseite einer nationalen Tageszeitung keine gravierenden Konsequenzen für mich hätte.)

Das hat mich auch dazu bewogen, etwas weiter nach vorne zu treten, und zum Beispiel mit anderen zusammen einen Stammtisch ins Leben zu rufen, mich aktiv in Online-Foren zu beteiligen, wo man auch keine absolute Anonymität garantieren kann. Ich hoffe, dass ich auf diese Art der SM-Subkultur etwas von dem zurückgeben kann, was mir gegeben wurde.

Andererseits antworte ich bei Fragen nach irgendwelchen Freizeitaktivitäten oder nach Gründen für meine Wochenenden irgendwo in Europa immer noch ausweichend mit "Leute aus dem Internet treffen". Ich gebe ja zu, dass ich inkonsequent bin :)

Nach Durcharbeitung diverser Tests auf Webseiten und nach Durchforstung meines eigenen Oberstübchens bin ich zum Schluss gekommen, dass ich Switch bin, also mal oben, mal unten spielen möchte. Warum ich mir mit der einen oder der anderen Partnerin die eine oder die andere Rolle vorstelle, weiss ich nicht. Ich glaube nicht, dass das etwas mit Opportunismus zu tun hat, wie man leicht glauben könnte. Dazu kämpfe ich jeweils zu heftig um meine Rollen, wenn ich mit jemandem im Chat unterhalte. Es hat wohl mehr damit zu tun, dass ich SM für mich als etwas Lustvolles verstehe, und bei aller möglichen Härte als etwas Liebevolles, Zärtliches. Ich möchte nicht nur einer Rolle gehorchen, nur eine Aufgabe erfüllen müssen.

All diese Eindrücke sind noch sehr frisch, kaum ein halbes Jahr alt, und vielleicht schaue ich in einem weiteren halben Jahr verständnislos auf diese Zeilen. Aber ich weiss, dass ich auf dem jetzt richtigen Weg bin, dass es gut ist, was ich mache und wie ich es mache. Dass SM nicht ein blosses Aufeinander-eindreschen ist, und sich auch nicht in schenkelhohen Stiefeln und peitscheschwingenden Dominas manifestiert, sondern dass SM das ist, was ich daraus mache und wie ich mich damit fühle.

Dass es eine Person gibt, die mir dies ermöglicht, darf ich nie vergessen.

M, 29

 

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