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Ich blicke ungläubig auf den Boden, hebe meinen Blick dann wieder und starre auf den Kirmeswagen, der gerade an mir vorbeizieht.

Meine Augen verharren einen Augenblick auf einem etwa vierzigjährigen Mann, der in schwarzes Leder gepreßt, fröhlich eine Peitsche in die Nachmittagssonne schwenkt. Unmittelbar hinter ihm kauert ein weibliches Wesen mit einer mit Nieten gespickten Maske auf dem Boden und beglückt die johlende Menge mit Kaubonbons, die in schwarzes Papier verpackt auf den Asphalt prasseln.

Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, daß sich auf dem Papier die Aufschrift 'Schlag mal wieder' befindet. Die Buchstaben glänzen silbern und werden durch eine aufgedruckte Stacheldrahtschwinge zusammengehalten.

Während der Wagen an mir vorbeizieht, dröhnt Technomusik in meinen Ohren. Ich kenne das Stück, kann es aber zunächst nicht zuordnen und erinnere mich erst wenige Sekunden später daran, daß 'The Genitortures' mit einem Techno-Medley ihres Schaffens seit nunmehr sechs Wochen die deutsche Top-Ten anführen. The Genitortures-Party-Mix nennt sich das Stück und gilt derzeit als die längste Single der Welt.

Ich blicke erneut auf die Straße, während sich die beiden Damen links und rechts neben mir meiner Arme bemächtigen und mich mit den Worten 'Beweg deinen Arsch' zum gemeinsamen Schunkeln auffordern.

Eine Blaskapelle zieht an mir vorbei.

Auf einem kleinen Holzwagen, der von zwei nackten Männern mit Nietenhalsbändern um den Hals gezogen wird, erkenne ich eine Dame mit schwarzen Stiefeln und einem Mieder aus Leder, welches ihre üppigen Rundungen mehr schlecht als recht bereit ist zu bändigen. Vor ihr auf dem Holzwagen ist ein ebenfalls weibliches Wesen kopfüber auf einem Bock gefesselt und erduldet breit grinsend die Schläge, die ihren von Striemen überzogenen Hintern im Rhythmus von 'die Karawane zieht weiter' treffen.

Ich erkenne Johannes B. Kerner und einen Kameramann, der rückwärts vor dem Holzkarren herumstolpert und sein Objektiv auf das Gesicht der Geschundenen richtet.

Es vergehen einige Minuten, denn der Zug bahnt sich nur mühsam einen Weg durch die grölende Menge. Die beiden Damen neben mir haben zwischenzeitlich von mir abgelassen und ich erkenne einen rotfarbenen VW-Transporter.

Einige wahrhaft gutaussehende Damen mit kleinen, roten Rüschenschürzen bekleidet, tanzen fröhlich um den Wagen herum und verteilen rote Handzettel an die Zuschauer. Sie tragen kleine putzige Häubchen, die jeweils mit zwei wackelnden Hörnern verziert sind.

Mit den Worten 'Satan liebt auch Dich' drückt mir eines dieser Wesen einen der beschrieben Zettel in die Hand. Da der Zug nach wie vor nicht so recht vorwärts kommen will, lese ich flüchtig, was auf dem Papier in altdeutscher Schrift zu entziffern ist.

'Sei modern, sei pervers ... diese Botschaft wurde unterstützt durch 'Levis Jeans' und 'McDonalds' ... das Lied zu diesem Slogan erhalten Sie in jedem gutsortierten CD-Shop Ihres Vertrauens ....'

Während ich noch versuche den Preis für das McDonalds-Prügelmenü zu errätseln, werde ich jäh unterbrochen.

Die Menge neben mir kreischt plötzlich auf. 'Meister, Meister..' dröhnt es in meine Ohren und ich beschließe, den Grund für diesen globalen Gefühlsausbruch auszumachen.

Ich erkenne einen weiteren, mit schwarzen Rosen verzierten Prunkwagen, der sich nur mühsam seinen Weg durch die Menge bahnt. Meine Ohren, die sich gerade an die Blaskapelle gewöhnt hatten, werden nun mit heftigen Gitarren aus dem Schlaf gerissen.

'Hey kleine Schwester...vögelst du auch soooo gerrrn wie ich' dröhnt es aus übergroßen Lautsprechern in die Menge und nimmt die Schlacht mit den 'Meister, Meister' –Rufen auf.

Ich erkenne zwei Absätze, die ich das letzte Mal in dieser Pracht bei einem Konzert von Kiss wahrgenommen habe. Ich erkenne einen Mann mit einem Mikrofon, umrahmt von vier weißen Schäferhunden. Ich erkenne zwei weibliche Wesen, die links und rechts neben dem Mann kauern und ihre langen Fingernägel in zwei Oberschenkel pressen. Ich erkenne Mozart und ich erkenne Umbra Et Imago...

Plötzlich nehme ich eine Stimme wahr. Zunächst weit entfernt, dann immer deutlicher.

'Hey .... hör auf zu schreien ....Du träumst....'

Ich öffne die Augen. Mein Gesicht ist schweißgebadet. Meine Hände krallen sich in etwas, was ich nach einiger Zeit als Matratze begreife. Ich richte mich auf, meine Körper vibriert....

Den Rest der Nacht verbringe ich wach. Meine Hände zittern. Ich hatte einen fürchterlichen Alptraum.

M, 35

 

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