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Mein erstes Bilderbuch ist noch heute in der Familie als das "Mann haut" bekannt, weil ich es seinerzeit nach der winzigen Randfigur eines Mannes, der seinen Hund mit einem Stock schlägt, so getauft hatte (es war ein eher altmodisches Kinderbuch). Das tut hier aber vermutlich nichts zur Sache.

Ich erinnere mich an die Faszination, die ich als Sechsjährige angesichts eines Stichs aus der Bibel empfand, in dem irgendein Volk gefesselt in die Sklaverei abgeführt wird. Später wünschte ich mir bei der Lektüre von "Jim Knopf" sehnlich, auch in Frau Mahlzahns drakonische Schule gehen zu dürfen, wo die Schulkinder an Steinbänken angekettet werden, während selbst in meiner bayrischen Dorfschule mittlerweile selbst die "Tatzen" abgeschafft waren ...

Ich sollte erwähnen, daß meine Eltern sich weder gegenseitig noch ihre Kinder schlugen; wir prügelten uns noch nicht einmal untereinander. Ich war ein Wunschkind und meine Erziehung ausgesprochen harmonisch, freundlich, unauffällig und untraumatisch, sonst würde ich mich heute wahrscheinlich doch etwas unwohler fühlen, wenn ich lese, daß Sadomasochismus seine Wurzeln in irgendwelchen Kindheitstraumata haben soll.

Zwischen sechs und zehn las ich praktisch alles von Karl May, dessen Werke ja ausgesprochen reich an einschlägigen Stellen sind. Winnetou am Marterpfahl ... der Tod des feigen Rattler ... die Bastonnade, das Krummschließen, die Sklavenkarawane ... aus diesem Material speisten sich meine Phantasien bis in die frühe Pubertät. Ich stellte mir vor, ich würde zusammen mit anderen Kindern von nicht näher spezifizierten Schuften entführt und versklavt. Die Statistenrollen wurden mit diversen Jungs von meiner Bushaltestelle, meinen Freunden, meinen älteren Cousins und den Brüdern meiner Mitschüler besetzt. Mit Sex hatte das alles noch nichts zu tun - obwohl ich früh aufgeklärt wurde, war mir absolut nicht klar, daß diese unterhaltsamen Vorstellungen damit in irgendeiner Weise zusammenhingen (und auch später sollte ich das noch lange leugnen).

Mit den Genitalien spürte ich damals unangenehme Emotionen wie Wut und Machtlosigkeit körperlich  - daß sie später zu erfreulicheren Zwecken dienen könnten, ahnte ich bestenfalls unklar. Ich betone noch einmal, daß es hier nicht um unaussprechliche Kindsmißbrauchsgeschichten geht - mein Zorn entzündete sich an harmlosen Angelegenheiten wie kratzigen Wollstrumpfhosen, von denen die Eltern hartnäckig behaupten, die seien doch ganz flauschig und könnten unmöglich ... Daß man mit diesen Organen auch Spaß haben könnte, entdeckte ich erst, als sich eins meiner langen Haare in den Schamlippen verfangen hatte und mir das Herausziehen gut gefiel. Außerstande, mir vorzustellen, daß man dieses lustige Gefühl auch anders hervorrufen könnte, wartete ich jahrelang vergeblich auf weitere verirrte Haare.

Einmal gelang es mir, mich von meinem Bruder und meinem Cousin fesseln zu lassen ("wetten, daß ich allein wieder loskomme?"). Das hatte ich mir allerdings viel lustiger vorgestellt; in der Praxis war es demütigend und machte überhaupt keinen Spaß. Ich verlegte mich darauf, mit meiner besten Freundin unsere Puppenhauspuppen zu entführen und zu fesseln.

Ungefähr mit zwölf entdeckte ich zwei Bände de Sade in meiner Buchhandlung. Ich hätte mich natürlich nie getraut, sie zu kaufen, las aber jedesmal, wenn ich im Laden war (und ich war oft da) hastig ein paar Seiten. In der Stadtbücherei durchsuchte ich die Amnesty-Jahresberichte auf verwertbares Material, was später für nachhaltige Schuldgefühle sorgen sollte.

Im großen und ganzen kam ich aber bis etwa zum 14. Lebensjahr ganz gut mit diesen absonderlichen Interessen zurecht. Mir war klar, daß niemand sie teilte, aber das war mit vielen meiner anderen Interessen genauso und beunruhigte mich nicht weiter.

F, 28

 

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